Weltweit gelten laut Welternährungsorganisation FAO 34,2% der vorhandenen Fischbestände als überfischt. Dies führt nicht nur zu einem Rückgang des Fischbestands insgesamt, sondern auch zu einer Veränderung des Meeresökosystems und einer geringeren Widerstandsfähigkeit der Meere gegen den Klimawandel. Der MSC (Marine Stewardship Council) setzt sich deshalb für einen nachhaltigen Fischfang sowie den Schutz der Meere ein.
Die gemeinnützige, internationale Organisation hat das MSC-Siegel, ein Umweltsiegel für Wildfisch aus kontrolliertem Fischfang eingeführt – getreu dem Anspruch, den langfristigen Erhalt von Fischbeständen und Lebensräumen im Meer zu sichern. Die MSC-Zertifizierung ist Impulsgeber für positive Veränderungen und treibt als solcher den Schutz des Ökosystems Meer voran.
Heute im Interview: Andrea Harmsen vom MSC Deutschland, Österreich, Schweiz über Meeresschutz, den Spagat der Organisation zwischen Umweltschutz, Ernährungssicherung und Fischereibedürfnissen und wirtschaftlichen Interessen sowie über zukünftige Schritte des MSC.
Mehr als 200 Wissenschaftler*innen und Fischereiexpert*innen aus aller Welt haben daran gearbeitet. Unsere Vision war damals wie heute gesunde Meere und Fischbestände.
Bereits 1997 wurde der MSC als unabhängige Non-Profit-Organisation gegründet. Aus heutiger Sicht war dies recht früh – immerhin wurden die Auswirkungen der Überfischung und des Klimawandels erst in den letzten Jahren viel diskutiertes Thema in den Medien. Was hat die Gründer*innen damals dazu bewogen die Organisation ins Leben zu rufen? Was war damals Eure Vision?
Auslöser für die Gründung des MSC war der Zusammenbruch des Kabeljaubestandes vor der Ostküste Kanadas Anfang der 90er Jahre. Das war vormals ein riesiger Fischbestand, der jahrzehntelang maßlos von Fangschiffen aus vielen Ländern überfischt wurde. Der Politik war es nicht gelungen, diese Entwicklung zu verhindern – deshalb suchte der WWF 1997 nach einem anderen Weg, die Überfischung der Meere zu bekämpfen und gründete, gemeinsam mit dem Nahrungsmittelhersteller Unilever (der damals noch eine Fischmarke im Portfolio hatte), den Marine Stewardship Council. Der MSC sollte den weltweit ersten Standard für nachhaltige Fischerei entwickeln. Mehr als 200 Wissenschaftler*innen und Fischereiexpert*innen aus aller Welt haben daran gearbeitet. Unsere Vision war damals wie heute gesunde Meere und Fischbestände. Ohne Überfischung, ohne Zerstörung des marinen Ökosystems durch die Fischerei und ohne illegale Fischerei. Wir wollten und wollen nicht weniger als die weltweite Fischerei auf nachhaltige Beine stellen – egal ob große Fischereien oder kleine Fischereien, egal in welchem Ozean und egal unter welcher Flagge ein Schiff fängt.
Der MSC versucht Umweltschutz, Welternährung und Fischerei-Interessen miteinander zu vereinbaren. Wie gelingt Euch das und welche Schritte leitet Ihr in die Wege, um diese Faktoren miteinander in Einklang zu bringen?
Nachhaltigkeit ist immer eine Mischung aus Ökologie und Ökonomie, aus Schutz und Nutzung. Auf der ökonomischen Seite stehen Menschen, die Fisch als Teil ihrer Ernährung schätzen – oder sogar darauf angewiesen sind. Und dort stehen Menschen, die mit Fischfang ihren Lebensunterhalt bestreiten, also die Fischer*innen oder die Leute in der fischverarbeitenden Industrie. Auf der ökologischen Seite stehen natürlich die Meere und Fischbestände, die es zu schützen und für zukünftige Generationen zu erhalten gilt. Wir wissen, dass Meeresfisch als nachwachsende Ressource nur dann einen fortwährenden Beitrag zur Ernährungssicherung der Weltbevölkerung leisten kann, wenn Fischbestände nachwachsen können und nicht überfischt werden.
Im Einklang mit den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen verfolgen wir beim MSC den Ansatz, die ökonomischen Bedürfnisse mit den ökologischen zusammenzubringen. Ziel des MSC ist also eine möglichst ertragreiche Nutzung von Fischbeständen unter Einhaltung strenger Umweltanforderungen. Auf diesem Grundprinzip fußt auch unser Umweltstandard. Aber nicht nur der – auch in unseren Lenkungsgremien, z.B. unserem Aufsichtsrat oder unserem Interessengruppenbeirat, haben Ökonomie und Ökologie eine Stimme: Dort sitzen Vertreter*innen aus allen Bereichen – Umweltschutz, Wissenschaft, Handel, Fischerei…. So verhindern wir, dass Einzelmeinungen unser Programm dominieren.
Manche Verbraucher*innen denken vielleicht, dass Fischerei und Meeresschutz nicht miteinander vereinbar sind. Aber das ist falsch! Fischerei mit geringer Umwelteinwirkung ist möglich, dafür gibt es viele Beispiele, auch in der kommerziellen Fischerei. Guckt euch gerne mal auf unserer Webseite um – dort sind einige dieser Beispiele beschrieben. Leider machen MSC-zertifizierte Fischereien jedoch erst 15% der weltweiten Fischerei aus.
Es gilt: Nachhaltige Fischereien dürfen nur so viel Beifang haben, dass dies dem betroffenen Bestand nicht schadet.
Die Dokumentation “Seaspiricy” war in den letzten Wochen großes Thema der öffentlichen Debatte. Die Dokumentation kritisiert, dass auch nachhaltige Fischerein inakzeptable Beifangraten aufweisen. Was sagt Ihr dazu und wie sorgt MSC dafür, dass Betriebe Ihre Beifangraten reduzieren?
Ungewollter Beifang ist eines der großen Probleme der weltweiten Fischerei. Besonders wenn es um Beifang gefährdeter, bedrohter oder geschützter Arten geht, aber auch generell, wenn es um das Thema Überfischung geht.
Beifang gibt es in fast jeder Fischerei – aber der große Unterschied zwischen einer nicht-nachhaltigen und einer nachhaltigen Fischerei ist das Ausmaß dieses Beifangs.
Es gilt: Nachhaltige Fischereien dürfen nur so viel Beifang haben, dass dies dem betroffenen Bestand nicht schadet. Wieviel das im Einzelfall ist, hängt von der Größe und der Reproduktionsrate des betroffenen Bestands ab und wird durch Wissenschaftler*innen definiert .Diesem rein wissenschaftsbasierten Ansatz folgen wir – auch wenn wir wissen, dass das Thema Beifang emotional manchmal weniger einfach zu bewerten ist, vor allem wenn es um Meerestiere wie Delfine geht. Denn natürlich sähen auch wir am liebsten gar keinen Beifang.
Was die Minimierung von Beifangraten betrifft, so gibt es dafür unendlich viele Möglichkeiten und Beispiele: Spezielle Fluchtgitter in den Netzen, die bestimmten Fischarten ein Entkommen ermöglichen; der Einsatz von Tauchern, um beigefangene Delfine aus Ringwadennetzen befreien; bunte Bänder an Langleinen, die verhindern dass Seevögel sich nähern und im Fanggerät verheddern; runde Angelhaken die verhindern, dass Meeresschildkröten anbeißen. Um nur einige zu nennen. MSC-zertifizierte Fischereien haben allein 2020 mehr als 50 Verbesserungen zum Schutz gefährdeter Arten umgesetzt – bei vielen davon ging es um die Vermeidung von Beifang.
Fakt ist: Eine Fischerei, die zu viel Beifang hat, kann nicht MSC zertifiziert werden bzw. verliert ihr Siegel. So wie die in Seaspiracy genannte isländische Fischerei – die hat das MSC-Siegel bereits 2015 verloren, weil sie zu viel Beifang hatte. Leider erwähnt der Film das nicht.
Wenn Ihr nach jetzigem Stand zurückblickt, was waren Eure größten und bedeutendsten Erfolge seit Gründung des MSCs?
Ich denke, unsere Erfolge lassen sich in drei Bereiche gliedern:
Zum einen haben wir bei Herstellern und im Handel, aber auch bei den Verbraucher*innen ein enormes Bewusstsein für nachhaltigen Fischfang geschaffen! Wenn Sie 20 Jahre zurückblicken, dann war nachhaltige Fischerei fast niemandem ein Begriff. Das ist heute ganz anders. Deutschland spielt dabei eine absolute Vorreiterrolle: In keinem anderen Land der Welt ist der Anteil nachhaltiger Fischereiprodukte im Fischsortiment so hoch wie hier.
Zum zweiten haben das MSC-Programm und der MSC-Umweltstandard, der seinerzeit von mehr als 200 Wissenschaftler*innen und Expert*innen entwickelt wurde, großen Einfluss auf die Entwicklung der gemeinsamen Fischereipolitik der EU gehabt.
Und zum dritten haben MSC-Zertifizierte Fischereien in den vergangenen Jahren mehr als 2000 konkrete Verbesserungen für unsere Meere bewirkt – neben all den Verbesserungen, die wir gar nicht messen können. Sicherlich wirken diese Verbesserungen angesichts der immer noch massiven Probleme in unseren Meeren wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber sie zeigen, dass nachhaltige Fischerei möglich ist, und sollten uns Ansporn sein. Je höher der Anteil kontrolliert nachhaltiger Fischerei am weltweiten Fischfang ist (momentan kommen 15% aus MSC-zertifiziertem Fang) desto besser für unsere Meere.
Wir brauchen auch eine stärkere politische Regulierung der Fischerei – und zwar weltweit.
Wir schreiben das Jahr 2121. Wenn Ihr nun von oben auf die Welt hinunterschaut: Was würdet Ihr Euch wünschen zu sehen?
Ich wünsche mir gesunde Meere und Fischbestände. Und einen Fischereisektor, der in der Lage ist, ohne große Umweltschäden zur Ernährung der Weltbevölkerung beizutragen. Egal ob große Fischereien oder kleine Fischereien und egal in welchem Ozean. Inklusive fairer Arbeitsbedingungen und einer gerechten Verteilung der Nahrung aus dem Meer.
100 Jahre scheinen eine lange Zeit…. Es ist erwiesen, dass die meisten Fischbestände hochproduktiv sind, sie könnten sich sehr schnell regenerieren, wenn sie nur nachhaltig befischt würden. Die bräuchten dazu keine 100 Jahre… Aber wir Menschen reagieren behäbig. Durch das MSC-Siegel schaffen wir Marktanreize für nachhaltige Fischereien, wir klären auf, wir unterstützen kleine Fischereien im Globalen Süden. Aber alleine können wir den Wandel auf unseren Meeren nicht schaffen. Wir brauchen auch eine stärkere politische Regulierung der Fischerei – und zwar weltweit. Fangquoten; ein internationales Fischereimanagement für Bestände, die sich jenseits von Ländergrenzen bewegen; eine Ende von Subventionszahlungen für nicht-nachhaltige Fischereien. Wir brauchen mehr Regeln – und Instanzen, die in der Lage sind, die Einhaltung dieser Regeln kontrollieren. Aber auch Verbraucher*innen die bei ihrer Kaufentscheidung nachhaltige Kriterien priorisieren.
Was Fischerei und Nachhaltigkeit mitteinander zu tun haben, liest Du in unserem Was Überfischung für den Klimawandel bedeutet-Artikel.